
Warum der richtige Kinderschuh elementar ist
Ab in die Wandersaison! Warum nun gerade für Kinder ein guter Wanderschuh sinnvoll ist, lest Ihr hier.

Dr. Micha Bahr
Lehrpfade
Antoine de Saint-Exupéry „Alle großen Leute waren einmal Kinder, aber nur wenige erinnern sich daran.“
Dieses Zitat stellt uns bei der Entwicklung von Kinderprodukten vor ein großes Problem. Denn diese werden meistens von „großen Leuten“ gemacht, die sich sicher sind, zu wissen, was für Kinder gut ist. Außerdem werden diese Dinge dann meistens von „großen oder sogar sehr großen Leuten“ gekauft, die auch ganz genau wissen was Kinder benötigen.
Das beste Beispiel hierfür sind Schulranzen. Diese werden meist von den Großeltern zur Einschulung geschenkt. Hier wird dann meist nach dem Preis entschieden. Dass häufig so manches Modell dabei ist, das zum Beispiel ein unpraktisches Tragesystem hat, spielt dann gar keine Rolle.
Das liegt daran, dass wir uns nicht mehr erinnern, was wir uns als Kind gewünscht haben. Das ist jetzt ein ziemlicher Anspruch, den ich da erhebe, weil mir dieses Erinnern als Kinderchirurg sehr leicht fallen muss. Aber wenn wir etwas für Kinder schaffen, sollten wir uns daran erinnern, was wir uns als Kinder gewünscht hätten – zum Beispiel von einem guten Schuh.
Eine Reise durch die Zeit
Ich möchte Euch mitnehmen, auf eine Erinnerungsreise in die Kindheit. Wir werden sehr schnell feststellen, dass das gar nicht so leicht ist. Wenn wir mit Mama Schuhe kaufen waren, dann spielte zunächst die Optik eine große Rolle. Das Ganze spielte sich dann meist folgendermaßen ab: Der rosa Schuh wird sicherlich für Lieschen ganz toll sein, bei Kevin aber fürchterlich drücken. Dann war es wichtig, dass man in dem Schuh rennen kann. Als Kind rennt man schließlich gerne. Ich beobachte immer wieder, wie Kinder im Schuhladen rennen. Das ist allerdings nur ein Ausdruck der Bewegungsfreude von Kindern. Außerdem sollten die Schuhe bequem sein. Sie sollten sich am besten schön weich anfühlen. Ein bisschen wie Sneaker und natürlich leicht sollten sie sein.
Bei uns war es dann auch noch so, dass die Kinder mit Klettverschlussschuhen die Looser waren, weil sie sich die Schuhe nicht binden konnten oder nicht wollten. Das ist heute eher umgekehrt. Außerdem will man draußen klettern und rumräubern, was impliziert, dass der Schuh eine gute flexible Sohle haben sollte. Lässt man dann noch ein wenig „große Leute“-Wissen in die Entwicklung einfließen, dann kommen ganz tolle Schuhe heraus, die es eigentlich so gar nicht geben dürfte …
Der kindliche Bewegungsapparat
Richtig wäre eigentlich folgendes: Der kindliche Bewegungsapparat befindet sich im Wachstum. Das heißt, dass ein ständiger Umbau stattfindet. Die Knochen sind noch nicht vollständig verknöchert. Viele Teile sind noch knorplig angelegt, was deren Skelett weicher und damit anfälliger für Verformungen macht. Außerdem ist der Bandapparat noch nicht so kräftig, wie bei Erwachsenen und das Muskelsystem ist noch nicht vollständig ausgereift.
Wenn es mit der Familie in die Berge gehen soll, dann ist meistens klar, dass die Erwachsenen gute Schuhe brauchen. Hier möchte ich auch gar nicht wiedersprechen. Ich beobachte häufig die verschiedensten Ansätze: Für die einen ist der Schuh erst dann richtig, wenn er nicht über den Knöchel geht. Sportlich soll er sein. Egal, ob es hoch hinaus geht. Hier wird allerdings spätestens am Nachmittag über müde Beine geklagt. Für andere ist der Schuh nur dann richtig, wenn er über den Knöchel geht – selbst, wenn es sich nur um eine kleine Spaziergangrunde dreht. Bei technophilen Männern gibt es dann auch noch den, der im absoluten High-End-Alpinschuh den Kinderwagen um den Alpsee schiebt. Aber sind wir einmal ehrlich: Es gibt sicherlich schlimmere Fremdschäm-Situationen als diese.
Von Prinzessinnen und Freiraum-Experten
Wenn es aber um die Schuhe unser Nachwuchsalpinisten geht, sind wir total entspannt. Warum sollten wir uns Sorgen machen. Kinder sind zufrieden mit dem, was Mama ihnen anzieht. Zudem wollen sie sowieso nur einen halbhohen Schuh. In Schuhen, die über den Knöchel gehen, fühlen sie sich eingesperrt.
Sätze wie „meine Elisabeth ist ja so eine Prinzessin, die würde sich nie in so einen Wanderstiefel zwängen lassen“ oder „unser Xaver braucht seine Freiräume und wenn seine Füße eingesperrt werden, wird er immer ganz wuschig“, hören wir immer wieder.
Insgeheim sind es meist die Eltern, die lieber Turnschuhe statt Wanderstiefel tragen. Ein anderes Thema ist der Preis. Ein guter Wanderschuh für Kinder ist sehr hochpreisig. Viele möchten daher für die kurze Zeit im Jahr nicht so viel Geld ausgeben. Das ist völlig nachvollziehbar. Hierzu ist aber zu sagen, dass die von uns entwickelten Wanderstiefel für Kinder alle sehr gut über das ganze Jahr im Einsatz sein können, weil sie so bequem und leicht sind, dass der Kinderfuß sich darin sicher und sehr wohl fühlt.
Vom Suchen und Finden des richtigen Schuhs
Wenn man nun auf die Internetseiten großer Outdoor- oder Sportgeschäfte geht und hier den Suchbegriff „Kinderwanderschuh“ eingibt, wird man sehr schnell feststellen, dass man überwiegend Schuhe findet, die bei Erwachsenen im unteren Trekkingsegment angeboten werden. Die Modelle sind meistens modifizierte Sportschuhe mit einer etwas gröberen Sohle.
Wenn man dann in die Details geht und sich die Schuhe näher ansieht, fallen viele Dinge auf, die man nicht mit den naturgemäßen Bewegungsabläufen erklären kann. Leider findet man häufig eine Aneinanderreihung von ungünstigen Konstruktionen.
Dies war der Grund, warum ich mich mit meiner Familie im Frühjahr 2016auf die spannende Reise begeben habe und wir große deutsche Bergschuhschuster kontaktierten, ob ein Interesse besteht, mit uns einen Kinderbergschuh zu entwickeln. Dieser sollte auch alltagstauglich sein, damit man den Preis, den so ein Schuh kosten würde, auch rechtfertigen kann.
Ich bekam von einem Hersteller eine Rückmeldung, weshalb jetzt mein Blog auch auf dieser Website veröffentlicht wird. Ich kann heute mit 100prozentiger Sicherheit sagen, dass es der Richtige war. Nach zunächst kritischer Zurückhaltung von Seiten der Bergschuhschuster nahm das Projekt dann sehr schnell an Fahrt auf und es entstand eine durch Freundschaften geprägte Zusammenarbeit, in der noch viele Projekte folgen werden. Ich werde nie den Tag vergessen, an dem mir der erste gemeinsam entwickelte Kinderschuh vorgestellt wurde. Ich konnte spüren, dass sie verstanden hatten, dass ihre neue Entwicklung einfach Sinn macht.
Der Weg zum Kinderwanderschuh
Wir hatten zu Beginn der Entwicklungsphase den Produktdesignern ein Lastenheft vorgelegt und auch jeweils medizinisch begründet, warum wir Wert auf diese Details legen. Dies machte die Umsetzung leichter, weil verstanden wurde, warum etwas so und nicht anders sein sollte.
Anhand dieses Lastenheftes wurden die neuen Schuhe entwickelt. Unsere Schwerpunkte lagen zunächst darauf, eine kindgerechte Sohle aufzubauen, was LOWA exzellent meisterte. Weitere Schwerpunkte waren der Zehendom, die Fersenkappe, der Halt im oberen Sprunggelenk und die Höhe und Beschaffenheit des Schaftes. Zuletzt wurde die Schnürung diskutiert. Wir waren uns eigentlich von Anfang an einig, dass es eine herkömmliche Schnürung sein sollte.
Diskutiert wurde dennoch, weil die Schnürung ein Verkaufsargument ist. Leider leben wir in einer Zeit, in der jeder Zweijährige das Smartphone seiner Mutter besser kennt als die Mutter selbst, aber als Sechsjähriger sich immer noch nicht die Schuhe binden kann. Im Gelände ist es aber wichtig, dass der Schuh gut am Fuß sitzt. Das ist am einfachsten mit einer herkömmlichen Schnürung zu gewährleisten. Wird auf eine große Wanderung gegangen, sollten die Eltern sowieso die Schnürung und den Sitz des Schuhs kontrollieren, um Überraschungen vorzubeugen.
Alles in allem sind am Ende Kinderschuhe entstanden, die sowohl medizinisch sinnvoll sind, aber auch von den Kindern akzeptiert werden. Als wir mit einer Rasselbande auf Testwanderung gegangen sind und die Kinder die Schuhe das erste Mal anzogen, sagten mehrere ganz spontan „oh die sind aber bequem“ und dann wurde losgerannt. Ein besseres Kompliment hätten wir uns nicht wünschen können.
In diesem Sinne wünsche ich einen schönen Einstieg in die Wandersaison 2022!
Euer Micha